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Berliner Chic - Ja, wo denn?

  • Autorenbild: Sven Barthel
    Sven Barthel
  • 5. Juli 2009
  • 2 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 22. Juli 2019

Streetstyle ist der Look der Generation Millennium. Geboren auf der Straße aus Mangel an Geld für Designerklamotten und benutzt als Kampfansage gegen das Modediktat. Geil aussehen tut's leider nur selten.

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Streetstyle Blogs sind eine feine Sache. Mit Fotokamera und Mac-Book bewaffnet, streifen ihre Macher durch die Metroplen dieser Welt, um uns auf tagesaktueller Basis die besten Looks von der Straße zu präsentieren. Die zur Begutachtung ins Netz gestellten Aufnahmen auf

Facehunter, Styleclicker und Stil-in-Berlin sollen allen Modeinteressierten wie auch Designern ein weitaus realistischeres Bild geben, von dem, was tatäschlich auf der Straße getragen wird, als der Blick in die Hochglanzteitschriften.

"Jede Wilmersdorfer Witwe im Chanel-Kostüm wäre ablichtungswürdiger, doch die sind so selten, dass man sie einfach nicht vor die Linse bekommt."

Auffallend hierbei ist, dass die Abgelichteten in ihrem Bemühen um Individualität jedoch fast alle gleich aussehen, und zwar weltweit. War der exzessive Stilmix vor zehn Jahren noch progressiv und verlangte von seinen Trägern eine gehörige Portion Tragemut, so ist der „Hauptsache-nix-passt-zusammen-Look“ längst zum Mainstream verkommen.


Der Trash-Appeal: Nerd-Brille, Muster-Mix, gelöcherte Leggings, Taillengürtel, Vintage Lederjacke und Designertasche ist mittleweile bei jeder Modestudentin – in München wie auch in Manchester – Programm. Mit Individualität hat das nicht viel zu tun. Den Misch-Masch von Stilen, die eigentlich nicht miteinander harmonieren, bisweilen sogar völlig konträr sind, haben wir Patricia Field zu verdanken, die als Stylistin der Kultserie "Sex and the City“ Flohmarktfundstücke und Vintage-Teile mit den neuesten Designerstücken kombinierte und einen Look schuf, der sich global etablierte und das Kleidungsverhalten der Frauen veränderte. Doch was in der Serie zweifellos grandios und glamourös ausschaute, gipfelte vielerorts, und speziell in Berlin, in eine Ästhetik des „Abgerotzten“.


Berlin: Wo Outfits Bezügen von Versandhaus-Sofas ähneln


Seit der Einführung der Fashion Week Berlin schaut die deutsche Modeszene auf die deutsche Haupstadt und ihre Protagonisten, die selbst keinen Schimmer haben, warum man gerade sie ständig als hip (v)erklärt. Eigentlich tragen sie ihre schmucklose Regenjacke, das muffige Polyester--Hemd mit 60s-Muster und das abgewetzte Paisley-Tuch doch nur, weil sie sich nichts Neues leisten können. Hielt man die Didgeridoo spielende, rothaarige Kreuzberger Alternative eben noch für peinlich, gilt sie dank ihrer Kombination aus verwaschenen Benetton-Leggings, eines verzogenen Vintage Shirts und klobigen L.A.-Gear-Schuhen plötzlich als „contemporary cool“. Besiegelt durch das digitale Abbild im Modeblog. Ohne ihr eigenes Zutun, werden, dank der bloggenden Stylescouts, aus Normalos plötzlich fashion-people. An dieser Entwicklung ist nichts verwerflich, schließlich ist auch "bad taste" eine Variante von "taste" und Geschmäcker sind nun einmal verschieden, doch die zunehmende Verzückung der Stil-Schreiber über das babylonische Style-Wirrwarr in Berlin, kann ich angesichts des reinen Zufallsprinzips, nachdem sich die Outfis der Fashion-Weekler zusammensetzen, nicht teilen.


Für mich wäre jede Wilmersdorfer Witwe im Chanel-Kostüm wesentlich ablichtungswürdiger, doch die sind so selten, dass man sie einfach nicht vor die Linse bekommt. Stilmix ist

wunderbar. Gerade weil es längst kein Modediktat mehr gibt und der Zeitgeist unbegrenzte Möglichkeiten bietet seine Persönlichkeit auszudrücken, verwundert das homogene Ergebnis vor dem Fashion-Zelt am Bebelplatz. Nur die wenigsten sind individuell und mutig. Die Mehrheit geht auf Nummer sicher, orientiert sich an der Masse und alle bedienen sich dabei aus dem selben Topf. Das ist kein ausschließlich deutsches Phänomen, doch besonders im Falle Berlins möchte man den Bewohnern am liebsten laut entgenschreien: „Geht das nicht wenigstens ein bisschen schöner?“



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