Zugeschnürt: Korsettmacher Mister Pearl hört auf
- Sven Barthel

- 1. Juni 2016
- 4 Min. Lesezeit
Mr. Pearl ist der bekannteste Korsettmacher der Welt. In unserem zweiten Interview, welches ich bereits im Jahr 2016 mit Mr. Pearl geführt habe, äußert sich der medienscheue Mode-Elitist erstmals öffentlich zur Schließung seines Ateliers.

Mit der Befreiung der Frauen vom Korsett durch Coco Chanel blieb selbiges in den letzten achtzig Jahren ein Randartikel. Da sich die Modebranche keine Exzesse mehr leistet, ist das Überleben in der Nische selbst für Monopolisten ihres Fachs zu einer Herausforderung geworden. Viele Designer, für die Mr. Pearl atemberaubende Wespentaillen geformt hat, von Thierry Mugler über Claude Montana bis zu Christian Lacroix, haben längst das Handtuch geworfen. Nach 30 Jahren im Business sagt auch der Meister der Haute Corsetterie seinem Handwerk offiziell Adieu.
Mister Pearl, warum haben Sie Ihr Studio in Paris geschlossen?
Ich bin kein Geschäftsmann und hatte keinen Finanzier im Hintergrund, der meine Arbeit subventioniert. Am Ende des Tages war es meine mangelnde Organisationsfähigkeit und die französische Bürokratie, die mich dazu zwangen, mein Studio zu schließen.
Welches Modehaus hat denn zuletzt bei Ihnen ein Korsett in Auftrag gegeben?
Das war Jean Paul Gaultier. Ein Stück, das von Dita Von Teese auf Gaultiers Couture-Schau im Januar 2014 präsentiert wurde. Ein halbes Jahr später habe ich meinen Laden dichtgemacht.
Und seitdem?
Seitdem lebe ich von Projekt zu Projekt! Im letzten Jahr habe ich in Alleinregie lediglich drei Korsetts und ein besticktes Abendkleid gefertigt!
Rund 25 Modehäuser präsentieren zweimal im Jahr Haute Couture in Paris. Von deren Aufträgen müsste man als Korsettmacher von Weltruf doch ganz gut leben können!
Wenn alle diese Modehäuser das Korsett als etwas Wesentliches betrachten würden, wäre das vielleicht der Fall. Doch so ist es eben nicht! Zudem geht es in der Modebranche heute nur noch um Geld. Handarbeit wird nicht mehr wirklich geschätzt.
Die fetten Jahre sind also endgültig vorbei?
Für mich jedenfalls schon. Wissen Sie, es gab Zeiten, da war ich umgeben von 25 Mitarbeitern und schnürte bei den Fashionshows hinter der Bühne ein Dutzend Models gleichzeitig in einem deliranten Zustand des Schlafentzugs.
Für welchen Designer hätten Sie gerne einmal gearbeitet?
Azzedine Alaia!
Mit welchem Designer haben Sie im Laufe Ihrer Karriere besonders gerne gearbeitet?
Ganz klar mit Thierry Mugler. Wir lernten uns 1991 über Partyqueen Susanne Bartsch in New York kennen. Ihm habe ich es zu verdanken, dass ich überhaupt in der Modebranche gelandet bin. Er zog mich mit hinein in seine außergewöhnliche, inspirierende und geniale Welt. Kein anderer hat mich so weit nach vorne gebracht. Zuletzt haben wir 2014 für seine Show "The Wyld" im Berliner Friedrichstadtplast zusammengearbeitet.
Die einstige Modemarke "Thierry Mugler" agiert heute unter dem Namen "Mugler", mit dem Briten David Komaals Chefdesigner. Hat Herr Koma schon mal etwas bei Ihnen in Auftrag gegeben?
Er äußerte den Wunsch, mit mir zusammenzuarbeiten, aber das Timing war einfach nicht auf unserer Seite.
Wo haben Sie Ihr Handwerk gelernt?
Korsettmacherei wurde und wird an Modeschulen nicht wirklich gelehrt. Meine Kenntnisse auf diesem Gebiet beruhen weitestgehend auf Eigenrecherchen, Experimenten, Beobachtungen und dem Austausch mit einigen Fachkundigen, zum Beispiel Cathy Jung, die Frau mit der schmalsten Taille der Welt, oder Fakir Musafar.
Sie selbst trugen lange Zeit ein Korsett, schafften es, ihre Taille auf einen Umfang von extremen 43 Zentimetern zu reduzieren. Taten Sie dies aus sexuellen oder ästhetischen Gründen?
Ich habe dies aus persönlichen Forschungszwecken getan, um mich besser in den Herstellungsprozess des Korsetts einfühlen und nachvollzuziehen können, wie sich seine Träger darin fühlen.
Hatten Sie niemals Bedenken, dass Tragen eines Korsetts könnte Ihrer Gesundheit schaden?
Ein auf den Körper individuell zugeschnittenes Korsett und dessen korrekte Anwendung verursachen garantiert keine körperlichen Schäden!
Kann man sich darin denn uneingeschränkt bewegen, bspw. bücken?
Yes, of corset! Damit ein Korsett angenehm zu tragen ist, muss es allerdings maßgearbeitet sein. Okay, zugegeben, die Bewegung ist tatsächlich ein wenig eingeschränkt, doch man gewöhnt sich an diesen Zustand und findet schnell zu alternativen Bewegungsabläufen.
Warum haben Sie aufgehört Korsett zu tragen?
Es mangelte mir wohl an Disziplin!
Sie wurden als Mark Erskine Pullin geboren. Hat Ihr Künstlername "Pearl" eine bestimmte Bedeutung?
Einer meiner besten Freunde verpasste mir den Namen Pearl, mit dem ich mich sofort identifizieren konnte. Die Entstehung einer Perle ist ja bis heute ein Mysterium.
Die Anredeform "Mr." sollen Sie Isabella Blow zu verdanken haben.
Ja, die liebe Isabella, frech wie sie war, hat sie aus dem vorherigen Monsieur einfach einen Mister gemacht. Gott segne sie!
Sie gelten als öffentlichkeitsscheu, lassen sich heute nicht mehr fotografieren. Dennoch liefen Sie 1995 ganz selbstbewusst für Alexander McQueen im Rock über den Laufsteg. Wie kam es dazu?
Ich kehrte gerade von New York nach London zurück und war offen für alles Mögliche. Im The Beautiful Bend, dem zu dieser Zeit wohl bizarrsten Undergroundclub der Stadt, begegnete ich erstmals Alexander. Er bot mir 100 Pfund, damit ich für ihn im Rock über den Catwalk laufe. Die Gage habe ich zwar nie erhalten, dafür zierte ich am nächsten Tag aber einige Titelseiten der Lokalpresse. Das war mir zutiefst peinlich!
Bis vor zwei Jahren kommunizierten Sie ausschließlich per Fax, beantworteten Interviewfragen nur handschriftlich. Heute schreiben Sie immerhin E-Mails. Woher kommt der Sinneswandel?
Computer und Mobiltelefone haben den Menschen ihre Phantasie und Privatsphäre geraubt, und häufig auch ihr gutes Benehmen. Leider ist mein Faxgerät kaputtgegangen und meine Brieftaube für immer entflogen. So nutze ich nun gelegentlich ein iPhone.
Auf einem Foto, das Ihr Studio zeigt, ist eine Tüte von Chanel zu sehen, an der ein Zettel mit ihrem Namen haftet. Arbeiteten Sie auch für das Haus Chanel?
Es ist ja bekannt, dass Mademoiselle Chanel Korsetts zutiefst verabscheute. Ich bin Chanels Antichrist!
Indem Chanel traditionelle Manufakturen wie Massaro, Lemarié oder Lesage aufkauft, bewahrt das Modehaus deren Handwerk für die Zukunft. Hätten auch Sie sich die Übernahme Ihres Studios durch Chanel gewünscht?
Da Chanel eben nicht für eine korsettierte Silhouette steht, war eine Übernahme ausgeschlossen. Es gab die Überlegung, mit Unterstützung von Thierry Mugler den Kosmetikkonzern Clarins als Investor für mein Studio zu gewinnen, doch das Rettungsboot kam zu spät!
Mit 55 Jahren sind Sie zu jung für den Ruhestand. Was sind Ihre Pläne für die Zukunft?
Als Kind wollte ich eigentlich immer nur Kostüme für das Ballett und das Theater entwerfen und studierte letztlich Malerei. Dass das Thema Korsett einmal meine Karriere bestimmen würde, dachte ich damals nicht. Vielleicht starte ich irgendwann einen erneuten Versuch. Doch aktuell finde ich den Gedanken, in Einsamkeit wieder den Pinsel zu schwingen, einfach reizvoller.



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